Wie die Schule demontiert wird

17. März 2023

Leitartikel Kurier vom 12.3.23 – Interview Dr. Franz Brandl samt Lösungsvorschläge.

Der Leitartikel von Frau Martina Salomon greift das heiße Eisen Bildungspolitik und Realität in den Schulen auf. In ungewohnt offener Manier bringt dieser Artikel auf den Punkt, was viele denken. Wir nehmen das Thema zum Anlass, um die Kernaussagen wiederzugeben. Ferner steigen wir mit Herrn Dr. Franz Brandl, einem Kenner und langjährigem Direktor der HTL Paul Hahn aus Linz, ins Thema ein. Zu guter Letzt soll es an konkreten Lösungsvorschlägen nicht mangeln. 

Wenn es um die Vorteile des österreichischen Wirtschaftsstandortes ging, dann war das gute Ausbildungsniveau immer einer der wichtigsten Faktoren. Doch derzeit schauen wir zu, wie unser Bildungssystem den Bach runtergeht. Fehler der Vergangenheit holen uns ein – so zum Beispiel:

• Schulreform als Schrumpfmodell (umstrittene Gesamtschule)
• Längere Lehrerausbildung, die den Arbeitskräftemangel verschärft hat
• Akute Unterversorgung mit Lehrern in naturwissenschaftlichen Fächern 
• Verwissenschaftlichung und zu wenig Fokus auf handwerkliche Berufe
• Überforderung durch Zuwanderung bildungsferner Gruppen
• Überbürokratisierung der Schule

LehrerInnen sind oft mehr Sozialarbeiter und Erzieher als Pädagogen. Wie gelingt der Zugang zu Schülern, deren Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr reicht? Wie gelingt der Zugang zu Eltern, die man miterziehen müsste? Fatalerweise hat das neue, einheitliche Lehramtsstudium sogar zu mehr Praxisferne geführt. Viele kommen erst beim ersten Praktikum nach drei Jahren drauf, dass man dem Job persönlich nicht gewachsen ist. Schon lange ist nicht mehr gewährleistet, dass am Ende der Schulzeit das Unterrichtsziel erreicht wird. 

Interview mit Dr. Franz Brandl

Wie sieht es an den HTLs in Oberösterreich aus. Gilt das von Frau Salomon skizzierte Bild ebenso? 

Unser Gesprächspartner, Dr. Franz Brandl, ist ausgebildeter Physiker und Förderer sowie Forderer der HTLs in Oberösterreich und stand 12 Jahre lang der HTL Paul Hahn in Linz als Direktor vor. Er ist Techniker mit Herzblut, Kenner der Praxis und auch der Bildungspolitik.

FlowFactor: Die o.a. Artikel vom Kurier geht hart ins Gericht. Wie gestaltet sich die aktuelle Lage aus Ihrer Sicht?

Dr. Brandl: Hauptproblem ist die geänderte Einstellung zur Schule: Die Schule wird Großteils als Problemlöser für alle gesellschaftlichen Probleme gesehen und ist damit hoffnungslos überfordert. Der eigentliche Zweck tritt in den Hintergrund. Drogenproblematik, Gewaltprävention, Integration, Inklusion etc. wird auf die Schulen abgeladen, ohne die Ressourcen zu erhöhen. Im Gegenteil es wird zusätzlich eingespart.

Auch wird vielfach die Schule als Aufbewahrungsort für Jugendliche gesehen, damit die Eltern ungestört ihrer Arbeit nachgehen können, ohne sich um die Aufsicht kümmern zu müssen. Die Schule soll Spaß machen und Leistung ist verpönt. Wenn Schüler nichts können, dann sind die Lehrkräfte schuld. Jeder Schüler ist für alles geeignet. Sitzenbleiben gibt es nur noch bei sehr großen Defiziten. Zudem wird zu viel Zeit mit neuen Medien des Internets (Handy) vergeudet. Insofern trifft der Artikel ins Schwarze. 

FlowFactor: Wozu führt diese Bildungspolitik?

Dr. Brandl: Es ist leider jetzt schon so, dass viele Schüler die unbedingt notwendigen Grundfertigkeiten wie sinnerfassendes Lesen, Schreiben und Rechnen kaum mehr haben. Diese Tendenz verstärkt sich. Um das zu verschleiern, scheint die Bildungspolitik zu einer Gefälligkeitspolitik geworden zu sein:

Den Eltern wird suggeriert, ihre Kinder seien gut. Daher auch möglichst kein Sitzenbleiben und möglichst niedrige Durchfallraten. Auch nicht bei der Matura. Da macht man lieber die Beispiele leichter damit möglichst alle durchkommen und feiert dies als Erfolg. So bei der Mathematik-Zentralmatura. Die Schüler merken aber, dass sie nicht leistungsfähig sind und meiden MINT-Fächer. 

FlowFactor: Das hieße, dass die MINT-Grundlagen für solide TechnikerInnen entzogen werden. Warum schreit die Wirtschaft nicht auf?

Dr. Brandl: Diese Frage sollte die Wirtschaft selbst beantworten. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt und hat sich schleichend verstärkt.

FlowFactor: Sie nehmen die Bildungspolitik also hart in Gericht.

Dr. Brandl: Die Bildungspolitik setzt den Schwerpunkt primär auf die Schwachen, was durchaus löblich erscheint. Für echte Förderung wird aber viel zu wenig getan. Auf der anderen Seite werden die begabten Schüler, wenn überhaupt, nur unzureichend gefördert. Folge davon ist, dass das Lernniveau für alle sinkt. 

Wenn in einer Klasse eine große Zahl von Schülern nicht oder kaum deutsch spricht, wie sollen da Lernziele erreicht werden? Hier bräuchte es ein erhebliches Umdenken in der Bildungspolitik.

FlowFactor: Liegt es nicht an den Schulen, die Schwerpunkte richtig zu legen?

Dr. Brandl: Es ist leider so, dass für echte Schwerpunkte die Ressourcen fehlen. So schaffen es die HTLS nicht, den vom Ministerium geforderten Ethik-Unterricht abzudecken. Ohne zusätzliche Unterrichtseinheiten dafür ginge dies paradoxerweise zu Lasten der wichtigen praktischen Fächer Werkstätte und Labor. Es ist zu hoffen, dass es diese zusätzlichen Einheiten für einen längeren Zeitraum gibt. Das wäre ein kleiner Lichtblick.  

FlowFactor: Wie stellt sich das Resultat dieses Trends dar?

Dr. Brandl: Das heißt in der Praxis, dass in den wichtigen Praxisgegenständen, wie Werkstätte und Labor, eingespart werden muss und dieser Unterricht darunter leidet.

Eine wesentliche Rolle spielt auch die Lehrerausbildung-Neu. Eine gemeinsame Ausbildung der Hauptschullehrer und der AHS-Lehrkräfte-Unterstufe mit einem Alibiaufsatz für die Oberstufe, mit berufsbegleitendem Master in einem Jahr. Dies hat gravierende fachliche Mängel in den MINT-Bereichen zur Folge.

Die Aussage einer ehemaligen Unterrichtsministerin „Es ist uns jede Stunde gleich viel wert.“, (Geschichte/Bewegung/Sport versus Physik/Mathematik/Informatik) gehört in Hinblick auf die MINT-Lücke überdacht.

FlowFactor: Möchten sie eine Bestandsaufnahme wagen? Wo steht die Schule in Bezug auf MINT-Fächer aktuell?

Dr. Brandl: In der Volksschule und Unterstufe erhalten die Schüler meist nicht mehr das notwendige Gerüst und die Sicherheit, um im MINT-Bereich reüssieren zu können.

Großteils ist der Unterricht nicht kindgerecht und nimmt auf die Ergebnisse der Hirnforschung keine Rücksicht. Zu wenig Festigung des Lehrstoffes und zu große Oberflächlichkeit durch zu viele Inhalte sind weit verbreitet. Sorgfältiges Arbeiten, Genauigkeit und Ausdauer sowie Leistungsbereitschaft samt erforderlichem Basiswissen kommen zu kurz.

Die fachlich mangelhafte Lehrerausbildung im MINT-Bereich sorgt für Unsicherheit bei Lehrkräften. Dazu kommen die schleichenden aber bereits Jahrzehnte andauernden Einsparungen im unteren Bildungsbereich. Die festgestellten Probleme versucht man durch mehr Bürokratie in den Griff zu bekommen, was aber ebenso kontraproduktiv ist wie die Scheinlösung Digitalisierung. 

Beratung und Unterstützung der Lehrkräfte hat man aus Kostengründen mehr oder minder abgeschafft.

FlowFactor: Welche konkreten Lösungsvorschläge sehen Sie persönlich?

Dr. Brandl: Kurzfristig denkbar wären:

• Didaktische Schulung der Lehrkräfte im MINT-Bereich.
• Schwerpunkt auf grundlegende Regeln und nicht auf davon abgeleitete Regeln
• Damit verbunden eine Entrümpelung der Lehrpläne. 

Schulische MINT-Schwerpunkte wie Förderung der MINT-Gegenstände durch Stundenumschichtung. 

Beginnend in den Volksschulen die Schaffung eines Zahlengefühls für die Schüler. Dies ist auch in anderen Gegenständen möglich wie Naturkunde und Turnen.

Eigener MINT-Gegenstand „Experimente“, wo grundlegende Kenntnisse im Versuch samt Auswertung vermittelt werden.

FlowFactor: Danke für die schonungslose Bestandsaufnahme aber auch für die konkreten Lösungsvorschläge. Es ist heute, so scheint es, oft unpopulär die brennenden Themen anzusprechen. 

Wir danken Ihnen umso mehr für die offenen Worte. Gemäß einem Techniker bedarf es einer soliden Analyse bevor man Maßnahmen und Lösungen ergreift – dieser erste Schritt muss ehrlich erfolgen.

Wir streben jedenfalls eine Fortsetzung dieses Interviews an – unser Wunschgesprächspartner wäre eine Persönlichkeit aus der Industrie – der Speerspitze der heimischen Wirtschaft.


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