Wie man mithilfe eines Flugzeugs Fachkräfte findet
Vor zwei Jahren begannen Schüler:innen des Luftfahrtzweigs der HTL Kapfenberg, ein Flugzeug zu bauen. Unterstützt wurden sie dabei nicht nur von ihrem Lehrer, sondern auch von Unternehmen aus der Region. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.
Bevor ich Lehrer an der HTL wurde, war ich 23 Jahre lang bei der Militärluftfahrt tätig und habe alle Jetflugzeuge, die es beim österreichischen Bundesheer gegeben hat, begleitet. Zum Schluss war ich Leiter der Eurofighter-Wartungstechnik für ganz Österreich.“ Klaus Santer ist nicht der typische Lehrer. Und wahrscheinlich ist gerade das der Grund, warum er auch bei der Projektauswahl ganz neue Wege ging.
„Als ich 2019 an die HTL Kapfenberg gekommen bin, war der Luftfahrtzweig noch sehr jung und die Schüler:innen hatten kaum Möglichkeiten, Praxis in diesem Bereich zu sammeln. Deshalb habe ich damals zum Direktor gesagt: „Wenn wir etwas gemeinsam machen, dann etwas Gscheit’s, das es noch nicht gibt.“
Es sollte ein klassenübergreifendes Projekt zu einem luftfahrttechnischen Thema werden, das sich nicht nur über ein Schuljahr, sondern über mehrere ziehen und etwas mit Entwicklung, Herstellung und Zulassung zu tun haben sollte. Nach einem Brainstorming mit Schüler:innen der dritten und vierten Klasse kamen letztendlich der Bau eines Flugzeugbausatzes, einer Drohne oder eines Bauteils für die Luftfahrt sowie die Restaurierung eines Flugzeugwracks in die engere Auswahl.
Wir bauen jetzt ein Flugzeug!
Geworden ist es der Bausatz eines zweisitzigen Motorflugzeugs mit acht Metern Länge und sechs Metern Breite. „Damit es auch in die Halle, die die Schule uns zur Verfügung gestellt hat, passt“, erklärt der Projektleiter. Fünf Klassen des zweiten, dritten und vierten Jahrgangs sind am Projekt beteiligt. Die Anzahl der Schüler:innen schwankt jedes Jahr, je nachdem, welche Klassen dazukommen oder durch die Matura wegfallen. „Aktuell machen 91 Schüler:innen mit. Wir waren aber auch schon mehr als 100.“ Gerade in der Anfangszeit habe er die Jugendlichen hauptsächlich geleitet und begleitet.
So mussten sie etwa einen Verein gründen – das war die Auflage der Behörden – und im nächsten Schritt die Organisation aufstellen. Mit einem Geschäftsführer und Controlling, einer Personal-, IT-, Zulassungs-, Finanz-, Marketing-, Logistik- und einer Technischen Abteilung. Jede:r Schüler:in bekam einen eigenen Verantwortungsbereich. „Die Jugendlichen für das Projekt zu begeistern, ist leicht“, sagt Klaus Santer. „Die größere Kunst besteht darin, diese Begeisterung über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten. Vor allem, wenn es Richtung Matura geht.“
Unterstützung aus der Region
Doch nicht nur die Schüler:innen galt es für das einzigartige Projekt zu gewinnen, sondern auch Unternehmen aus der Region. „Die verschiedenen Betriebe unterstützen uns auf unterschiedliche Weise“, erklärt der HTL-Lehrer. Die Firma Pankl etwa, die im Helikopterbereich alle wesentlichen Hersteller beliefert, greift der Schule finanziell unter die Arme, stellt aber auch Ferialpraktika zur Verfügung. „Letztes Jahr waren zum Beispiel zwei unserer Schüler bei Pankl Industries in den USA und drei bei Pankl in Österreich beschäftigt“, erzählt der Projektleiter.
Voestalpine Böhler Edelstahl bietet ebenfalls Praktika an. Andere Firmen hingegen stellen Materialien bereit, kommen an die Schule, um ihr Know-how in Form von Workshops weiterzugeben oder laden die Schüler:innen in die eigenen Produktionshallen ein. „Einige Schüler von uns bauen gerade in einem gesonderten Projekt gemeinsam mit der Firma Hilitech, einem Hersteller von Leichtbauteilen für die Luftfahrt, das Instrumentenbrett in Vollcarbonbauweise.“
Schulzweig der Fachkräfte entwickelt
Davon würden alle etwas haben, sagt Klaus Santer, sowohl die Schule und die Jugendlichen als auch die Unternehmen. „Die Firmen profitieren von der Vermarktung, denn unsere Schüler:innen erzielen über ihre Social-Media-Kanäle große Reichweiten. Außerdem kommen die Betriebe so auch zu Fachkräften. Wir haben zum Beispiel ein Mädchen, das momentan in die dritte Klasse geht und schon jetzt weiß, dass sie nächstes Jahr bei Pankl arbeiten und sogar ein einjähriges Praktikum in Amerika absolvieren kann. Wenn alles passt, und davon gehen wir aus, folgt eine Fixanstellung bei Pankl.“
Bausatz ohne Bauanleitung
Aber wie steht’s nun eigentlich um das selbstgebaute Flugzeug, das all dies möglich macht? Corona und Distance Learning haben die Arbeiten erschwert und vieles verzögert. Mittlerweile ist aber die Mechanik fertig, nun muss die Elektronik eingebaut werden. „Doch das dauert“, erklärt Klaus Santer, „denn wir müssen jedes Kabel und jeden Stecker selber machen und verdrahten. Bauplan gibt es keinen, man erhält nur den Bausatz mit 5.000 Teilen. Wir waren deshalb auch schon ein paarmal bei der Firma in Tschechien, um uns anzuschauen, wie die Flugzeuge dort gebaut werden.“
Sobald das Motorflugzeug, das der Bauaufsicht der Austro Control unterliegt, fertig ist, beginnt die Testphase. 50 Testflüge gilt es zu absolvieren. Anfangs wird Klaus Santer selbst als Flugingenieur an der Seite des Piloten sitzen, danach werden Schüler:innen seinen Platz einnehmen. Voraussetzung ist, dass sie mindestens 18 Jahre alt sind.
Selbst ist der:die angehende Flugzeugtechniker:in
Später könnte das Flugzeug verkauft werden. „Der Plan ist aber, es zu behalten und zu vermieten“, sagt Klaus Santer. „Über die Einnahmen könnten wir dann die nächsten Projekte finanzieren. Denn wir wollen auch einmal ein flugfähiges Flugzeug von Grund auf neu bauen und – angefangen von der Zeichnung über die Produktion der Einzelteile bis zur Elektronik – alles selber machen.“
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Bildquelle: alle www.htl-kapfenberg.at
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